Wo die Industrie schrumpft, sinkt die Lebenszufriedenheit. So ging das Lebensglück in stark von Deindustrialisierung betroffenen Landkreisen wie etwa Fürth oder Solingen um 0,60 Punkte zurück. Umgekehrt steigt das Lebensglück in Regionen mit einem höheren Anteil an Industriebeschäftigten, wie in Aichach-Friedberg und Kiel.
Für die Exportnation Deutschland stand immer schon fest: Je höher der Anteil an Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe (Industrie) in einer Region ist, desto höher ist dort auch die durchschnittliche Lebenszufriedenheit. Zehn Prozent mehr Beschäftigte in der Industrie erhöhen das mittlere Lebensglück in solchen Landkreisen um durchschnittlich 0,09 Punkte.
Seit einiger Zeit klagt die deutsche Wirtschaft jedoch über eine beschleunigte Deindustrialisierung, die vor allem auf die hohen Energiepreise zurückzuführen ist. Allein zwischen Juni 2023 und Juni 2024 (letzte verfügbare Daten) ging der Anteil der Beschäftigten in der Industrie erheblich um durchschnittlich 1,4 Prozent zurück. Wie sich der Zollkrieg mit den USA auswirkt, ist noch offen.
Besonders stark ging der Anteil an Industriearbeitsplätzen in den Landkreisen Fürth (Bayern, minus 6,4 Prozent), Ludwigslust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern, minus 5,9 Prozent) und in Solingen (Nordrhein-Westfalen, minus 5,9 Prozent) zurück. In diesen Kreisen sank auch die Lebenszufriedenheit besonders stark: Im Landkreis Fürth um minus 0,60 Punkte, im Landkreis Ludwigslust-Parchim um minus 0,56 Punkte und in Solingen um minus 0,59 Punkte. Die hohen Glücksverluste weisen darauf hin, dass mit steigendem Industrieverlust die Lebenszufriedenheit überproportional stark sinkt.
Dort, wo der Transformationsprozess allerdings erfolgreich verläuft und der Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe steigt, nimmt auch die durchschnittliche Lebenszufriedenheit wieder zu. Im letzten Jahr stieg der Anteil der Industriebeschäftigten etwa im Landkreis Aichach-Friedberg (Bayern) um 5,5 Prozent und infolgedessen stieg auch die Lebenszufriedenheit um 0,88 Punkte. In Kiel nahm der Beschäftigtenanteil in der Industrie um 3,4 Prozent zu, ebenso stieg die Lebenszufriedenheit um 0,45 Punkte.
Abbildung 1: Industrie und Lebenszufriedenheit gehen zusammen
Je mehr Beschäftigte in der Industrie, desto höher die Lebenszufriedenheit in der Region. Zwischen industriearmen (weniger als 15 Prozent Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe) und industrieintensiven Landkreisen (mehr als 30 Prozent) liegen 0,36 Punkte.
Lebenszufriedenheit (0 = ganz und gar unzufrieden bis 10 = völlig zufrieden)
Quelle: Glücksatlas-Datenbank, IfD Allensbach, Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.
Anmerkungen: Industrie wird hier synonym zum verarbeitenden Gewerbe (gemäß WZ 2008) gemeint. Lesebeispiel: In einem Landkreis mit einem Beschäftigtenanteil von mehr als 30 Prozent liegt die durchschnittliche Lebenszufriedenheit bei 7,34 Punkten.
Die Gründe liegen in den überdurchschnittlichen Löhnen, die in diese Regionen durch die hochwertigen Industriearbeitsplätze generiert werden: Landkreise mit einem hohen Industrieanteil sind wohlhabender, haben eine geringere Arbeitslosigkeit und eine höhere Wohneigentumsquote. Industrieintensive Kreise haben eine höhere Steuerkraft, da das verarbeitende Gewerbe mehr Wohlstand und somit höhere Gewerbesteuereinnahmen generiert. Dadurch können Kommunen mehr in Infrastruktur, Schulen, Schwimmbäder und Vereine investieren. Zudem ist die Arbeitslosigkeit dort mit 4,4 % deutlich niedriger als in industriearmen Kreisen (6,6 %). Höhere Einkommen und sichere Arbeitsplätze fördern Konsum, Wohneigentum und Familiengründung – Faktoren, die nachweislich die Lebenszufriedenheit steigern.
Noch stärker als im gesamtdeutschen Durchschnitt ist der Effekt in Ostdeutschland. Zehn Prozent mehr Beschäftigte in der Industrie erhöhen das mittlere Lebensglück dort sogar um +0,13 Punkte, und in Städten (+0,11 Punkte). Im Osten und in den kreisfreien Städten ist ein hoher Industrieanteil somit glücksstiftender als im Westen oder in den Landkreisen.
Ostdeutsche Landkreise und Städte profitieren von einem hohen Anteil an Industriebeschäftigten: Industrieintensive Landkreise im Osten sind um 0,4 Punkte zufriedener als industriearme Ostkreise. Im Westen liegt die Differenz bei 0,27 Punkten. Der positive Industrieeffekt ist somit in Ostdeutschland – und in Städten – höher als auf dem Land oder im Westen. Das lässt sich mit den größeren Wohlstandsunterschieden gut erklären. So liegt der Unterschied in der Kaufkraft zwischen industriearmen und -reichen Kreisen im Osten nicht bei knapp 500 (wie in Gesamtdeutschland), sondern bei 700 Euro – und das bei einem geringeren Preisniveau. Ähnliches lässt sich bei dem Vergleich zwischen industrieintensiven und -armen Städten beobachten: Städte mit einem hohen Industrieanteil können pro Einwohner mehr als 200 Euro mehr ausgeben als in industriearmen Städten. Bei den Kreisen liegt der Unterschied nur bei 90 Euro je Einwohner.
Diese hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer Sonderauswertung der Lebenszufriedenheitsdaten aus der Glücksatlas-Datenbank, durchgeführt von der Universität Freiburg unter der Leitung von Prof. Raffelhüschen. Zwischen Januar 2021 und Dezember 2024 wurden insgesamt 48.018 Personen ab 16 Jahren repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung vom Institut für Demoskopie Allensbach zu ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit befragt. Die Daten zum Anteil der Industriebeschäftigten stammen aus den „Regionalreports über Beschäftigte“ der Agentur für Arbeit.