Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich die mittlere Distanz zwischen Wohnsitz und Arbeitsort fast verdoppelt. Auch die Zahl der Pendler ist stark gestiegen. Diese Entwick-lung ist schlecht, denn Pendeln trägt erheblich zur Unzufriedenheit bei. Während der Corona-Pandemie ist das Homeoffice populär geworden. Könnte es die Pendellast mil-dern? Ein Blick auf die Glücksbilanz von Pendlern und Heimarbeitern.
Besonders beliebt ist das Pendeln zur Arbeit nicht: Befragungen ergaben, dass die Unzufriedenheit mit jedem Kilometer Arbeitsweg wächst. Erwerbstätige, die pro Arbeitswoche bis zu 65 Kilometer (also täglich 13 Kilometer) hin- und herpendeln liegen in ihrer Lebenszufriedenheit noch bei 7,47 Punkten. Wer aber bis zu 200 Kilometer (täglich 40 km) zurücklegen muss, gibt nur noch einen Wert von durchschnittlich 7,29 Punkten an. Am unzufriedensten sind Berufstätige, die weite Distanzen von über 500 Kilometern in der Woche fahren müssen. Sie bewerten ihr Lebensglück im Durchschnitt mit lediglich 7,22 Punkten. In die Punktwerte gehen alle Fortbewegungsmittel, vom Auto bis zum Fahrrad, ein (Abbildung 1).
Die Glückseinbußen durch das Pendeln sind somit erheblich. Das Problem hat außerdem zugenommen: Betrug die tägliche mittlere Distanz zwischen Wohnsitz und Arbeitsort im Jahr 2000 noch 8,7 Kilometer, hatte sich dieser Wert 2019 auf 16,9 Kilometer fast verdoppelt. Insgesamt pendeln die Deutschen weniger als früher. Wenn sie aber schon auf dem Weg sind, verbringen sie inzwischen mehr Zeit im Auto oder Zug als früher. Die Folgen sind längere Staus und mehr Autos auf den Straßen. Der Pkw-Bestand hat sich seit 1990 von 30,6 auf derzeit 48,5 Millionen ausgedehnt. Der Pendlerstress schlägt sich auch auf die Arbeit nieder. Denn je positiver der Weg zur Arbeit eingeschätzt wird, desto zufriedener sind die Befragten auch insgesamt mit ihrer Arbeit.
Pendeln macht unglücklich - je weiter die Distanz ist, desto mehr steigt die Unzufriedenheit
Abbildung 1: Pendelaufwand und Lebenszufriedenheit
Die meisten Berufstätigen unterschätzen allerdings den Aufwand und die Einbußen an Glück, die mit dem Pendeln verbunden sind. Berücksichtigt man Hin- und Rückfahrt, dann befinden sich Deutschlands Berufstätige im Schnitt fast eine Stunde pro Tag auf dem Weg zur oder von der Arbeit. Das ist aufs Jahr gerechnet ganz schön viel Lebenszeit. Interessant ist, dass vor allem die finanziell Bessergestellten länger pendeln. Für ein höheres Gehalt oder das Häuschen im Grünen nehmen sie gern eine längere Pendelstrecke in Kauf. Doch geht diese Rechnung auf? Ist die Glücksbilanz am Ende positiv? Zwar verbessern höhere Einkommen die Lebenszufriedenheit und Pendler sind auch zufriedener mit ihrer Wohnsituation, aber die Einbußen durch das Pendeln sind in der Regel größer als diese Gewinne. Für einen Pendler müsste das monatliche Nettoeinkommen im Durchschnitt um 13 Euro je zusätzlichem Kilometer steigen, damit die Lebenszufriedenheit nicht leidet. Natürlich macht einigen das Pendeln weniger aus, aber im Mittelwert sind hohe Distanzen zum Arbeitsplatz eindeutig schädlich für die Lebenszufriedenheit.
Ist gar nicht Pendeln (Homeoffice) also die Lösung? Es kommt darauf an
Der Gegenentwurf zum Pendeln ist das Homeoffice: Die Distanz zum Arbeitsplatz beträgt dabei nur wenige Meter – vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer. Vor der Coronapandemie war es ein eher seltenes Modell, 74% der Berufstätigen gaben 2018 an, nie im Homeoffice zu arbeiten.
Im Frühling 2020 war das Homeoffice für viele dann keine Wahl mehr, sondern wurde von Staat und Arbeitgeber angeordnet. Dabei verschwanden aber auch die positiven Effekte der Arbeit zuhause. Die nur wenig im Homeoffice Tätigen waren nun auf der Glücks-Überholspur: Ihre Lebens- und Arbeitszufriedenheit war in der ersten Corona-Zeit, bis 2021, etwas höher als bei jenen, die überwiegend von Zuhause arbeiteten. Im Vergleich zu den gar nicht im Homeoffice Tätigen waren diejenigen im Vollzeit-Homeoffice kaum zufriedener. Ein Erklärungsansatz ist, dass das Homeoffice oft nicht freiwillig gewählt wurde, dass die Homeoffice-Arbeit stärker strukturiert wurde und viele zeitraubende Videokonferenzen hinzukamen. Vor der Pandemie hatten noch 86% der im Homeoffice Tätigen angegeben, sie könnten sich die Arbeit zuhause flexibler einteilen – dieser Vorteil schmolz anscheinend dahin.
Bis er dann doch wiederkam: Mit der Lockerung der Corona-Regeln und der Möglichkeit, wieder ins Büro gehen zu können, veränderte sich die Dynamik zurück zum Vor-Corona-Zustand. 2022 sind die Deutschen im Homeoffice wieder zufriedener als diejenigen, die zur Arbeit fahren. Viele sagen sich: Homeoffice ja, aber nicht, wenn ich dazu gezwungen werde.
Abbildung 2: Wer 2022 von zu Hause aus arbeiten kann, ist glücklicher
Der gestiegene Anteil an Erwerbstätigen, die (zum Teil) von zu Hause aus arbeiteten, blieb auch 2022 - »nach« der Corona-Krise – erhalten. Knapp 12 Millionen blieben mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice, vor der Pandemie waren es gerade mal 4,5 Millionen. Allerdings galt 2022 eine andere Regel als 2021: Wer von zu Hause aus arbeiten darf, ist im Durchschnitt 0,12 Punkte zufriedener als jemand, der weiterhin zur Arbeit pendeln muss (Abbildung 2). 0,04 Punkte trennen die überwiegend im Homeoffice Arbeitenden sogar von den nur wenig im Homeoffice Arbeitenden. Das zeigt: 2022 ist das überwiegende Arbeiten »vom Küchentisch aus« für viele ein echter Glücksstifter.
Das ist auch keine Überraschung. Zwei Gründe sprechen 2022 für das Homeoffice. Zunächst sind die Corona-Beschränkungen in Kitas und Schulen weggefallen. Statt die eigenen Kinder parallel zur Arbeit bespaßen oder beschulen zu müssen und den Hauptteil der eigenen Arbeit in die Abendstunden zu verlagern, konnte im Post-Corona-Jahr wieder zu normalen Zeiten in Ruhe im Homeoffice gearbeitet werden. Der Normalbetrieb in Kitas und Schulen entlastete viele Familien beträchtlich und wird die Stimmung in vielen Haushalten merklich gesteigert haben. Der zweite Grund ist wohl eher statistischer Natur: Wer 2021 im Homeoffice unzufrieden war, kehrte 2022 wieder an seinen gewohnten Arbeitsplatz zurück. Der Großteil, der im Homeoffice verblieben ist, gehört wohl zu denen, die sich in den eigenen vier Wänden wohl fühlen und die Pendelei oder den Arbeitsplatz gar nicht vermissen. Wenn die Unzufriedenen aus der Homeoffice-Statistik herausfallen und die Zufriedenen zurückbleiben, ist klar: Die Zufriedenheit im Homeoffice steigt.
Frauen im Homeoffice nicht glücklicher, aber das Pendeln halten sie besser aus als die Männer
Frauen waren während der Pandemie besonders unzufrieden, weil sie durch die Dreifachbelastung aus Homeschooling der Kinder, Hausarbeit und Homeoffice oft an ihre Grenzen kamen. Vor allem Frauen (77 %) bemängelten in der Coronazeit die fehlende Trennung von Beruf und Privatleben. Dass berufstätige Mütter begeistert sind, wenn sie mal eben zwischen zwei Videokonferenzen eine Waschmaschine laufen lassen können, war offenbar eher Wunschdenken. Die Überforderung von Müttern durch Homeoffice, Homeschooling und zusätzliche Hausarbeit führte dazu, dass Mütter mit gut 1,2 Punkten die größten Glückseinbrüche in der Coronapandemie zu verzeichnen hatten. Für Frauen waren dann auch die im Frühjahr 2022 erfolgte Wiederöffnung der Schulen und der normale Kita- und Schulbetrieb eine große Erleichterung, die sich auch in höheren Werten bei der Lebenszufriedenheit niederschlägt.
Punkeverlust der Lebenszufriedenheit von Frauen in der Coronapandemie
Die Unterschiede in der Pendeldistanz zwischen den Geschlechtern bei Singles sind nur marginal. Aber unter verheirateten Paaren pendeln Männer im Durchschnitt 6,4 Kilometer mehr, zumeist weil sie für ein besseres Gehalt eine längere Pendelstrecke in Kauf nehmen. Interessanterweise steigt ihr Gehalt im Durchschnitt bei höherer Distanz weniger als das der Frauen: Verheiratete Frauen, die mindestens zehn Kilometer pendeln, haben ein rund 53 Euro höheres Nettoeinkommen pro Monat als Frauen, die nicht pendeln. Bei den Männern beträgt dieser Unterschied nur etwa 38 Euro. Frauen scheinen mehr darauf zu achten, dass sich das Pendeln finanziell auch wirklich lohnt.
Offenbar sieht die innerfamiliäre Arbeitsteilung vor, dass die Männer in Vollzeitjobs für ein höheres Verdienst auch längere Pendelstrecken in Kauf nehmen, während die zumeist teilzeitbeschäftigte Partnerin kurze Distanzen zwischen Schule, Arbeits- und Wohnort bevorzugt. Vielleicht ist Frauen auch bewusster, dass ein höheres Einkommen die Glücksnachteile des Pendelns nicht aufwiegt.
Abbildung 3: Lebenszufriedenheit und Pendelstatus
Männer nehmen für das Pendeln Einbußen in der Lebenszufriedenheit auf sich, wie Abbildung 3 zeigt. Als Nicht-Pendler sind sie leicht zufriedener als Frauen, doch wenn sie pendeln, liegen ihre Werte deutlich unter jenen der Frauen.
Pendler sind im Durchschnitt unglücklicher als Nichtpendler. Sie unterschätzen oft auch die Glückseinbußen, die lange Pendelstrecken verursachen. Leider ist das Homeoffice nicht der Problemlöser. Zwar entfällt die Pendelstrecke, aber in Punkto Lebens- und Arbeitszufriedenheit schneiden die Erwerbstätigen im Homeoffice schlechter ab, insbesondere während der Coronazeit. Vor allem Mütter waren hier besonders belastet und der forcierte Übergang zum Homeoffice wurde vor allem auf ihrem Rücken ausgetragen. Die Glücksbilanz des Pendelns könnte besser werden, wenn es Politik und Wirtschaft gelänge, die Pendelstrecken und -dauer insgesamt zu reduzieren.