Arbeitslosigkeit ist ein Unglücksbringer. Sie senkt nicht nur den Lebensstandard, sie hat auch psychische und soziale Folgen. Männer leiden stärker als Frauen. Die Glücksforschung zeigt aber auch, dass das Los der Arbeitssuchenden im Alltagserleben besser ist als gedacht.
Arbeitslosigkeit macht unglücklich. Dieser Befund der Zufriedenheitsforschung ist seit Jahrzehnten gesichert. Vor allem die finanziellen Einbußen im Vergleich zur Erwerbstätigkeit treffen die Arbeitslosen schwer. Sie müssen ihren Konsum einschränken und ihr persönlicher Lebensstandard sinkt. Insbesondere Langzeitarbeitslose, also jene, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, leiden unter psychischen und sozialen Folgen. Diese haben einen noch stärkeren negativen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit als die reinen Einkommensverluste. Es ist zudem bemerkenswert, dass sich die Menschen kaum an das Leben als Arbeitsloser gewöhnen können: Selbst nach zwei, drei oder acht Jahren bleibt die Unzufriedenheit mit ihrer Lebenssituation unverändert hoch.
Abbildung 1: Verluste an Lebenszufriedenheit durch Arbeitslosigkeit
Abbildung 1 zeigt das Ausmaß an Glücksverlusten durch Arbeitslosigkeit. Arbeitslose Männer haben eine um 1,52 Punkte geringere Lebenszufriedenheit als erwerbstätige Männer. Bei Frauen sind es 1,17 Punkte weniger – auf der Skala von 0 bis 10. Männer sind somit von Arbeitslosigkeit stärker betroffen als Frauen. Männer sind größtenteils in Vollzeitbeschäftigung tätig und steuern in der Regel den größeren Teil des Familieneinkommens bei. Wenn sie arbeitslos werden, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf den Lebensstandard von Frauen und Kindern, was zu einer allgemeinen Unzufriedenheit innerhalb der Familie führt. Arbeit und Beruf sind zentrale Bestandteile der Identität, der Verlust wird häufig als Versagen erlebt.
Arbeitslosigkeit beeinträchtigt die Lebenszufriedenheit ganz allgemein (minus 1,27 Punkte). Der Glücksverlust ist vergleichbar mit der Verschlechterung der Gesundheit von einem "zufriedenstellenden" zu einem "schlechten" Zustand. Im Vergleich dazu fallen die Einbußen an Glück bei Scheidung oder Einsamkeit deutlich geringer aus. Aus der Perspektive der Glücksforschung gewinnt die Arbeitsmarktpolitik somit eine ähnliche Relevanz wie die Gesundheitspolitik.
Lebenszufriedenheit der Arbeitssuchenden hängt von der Arbeitsmarktlage ab
Arbeitslose sind aber nicht zu jeder Zeit gleich unglücklich. Der Verlust hängt zentral mit den Bedingungen auf den Arbeitsmärkten zusammen. Der Ökonom Andrew E. Clark hat in einer viel beachteten Studie gezeigt, dass Arbeitsuchende umso zufriedener sind, je höher die Arbeitslosenquote in ihrer Region ist. Und umgekehrt werden Arbeitslose unglücklicher, wenn die Arbeitslosenquote in ihrer Region sinkt. Menschen sind soziale Wesen, wenn viele Menschen arbeitslos sind und das gleiche Schicksal teilen, wird es für den Einzelnen leichter erträglich.
Auf der Seite der Erwerbstätigen verhält es sich jedoch genau umgekehrt: Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, nehmen die Ängste der Erwerbstätigen vor dem Jobverlust zu. Sie verbleiben eher in einem ungeliebten Job, aus Angst keine andere Stelle zu finden. Diese Dynamik verdeutlicht, wie stark die sozialen und ökonomischen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die individuelle Zufriedenheit und das Verhalten von Arbeitssuchenden und Erwerbstätigen beeinflussen. Arbeitslosigkeit hat nicht nur individuelle Auswirkungen, sondern beeinflusst auch das allgemeine Wohlbefinden der Gesellschaft.
Arbeitslosigkeit kann in einen »Teufelskreis« führen
Die individuellen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit können gravierend sein. Nachweislich verschlechtert sich bei längerer Arbeitslosigkeit der Gesundheitszustand der Betroffenen: Es wird wieder eher Tabak konsumiert, Schlafprobleme und Bewegungsmangel nehmen zu. Zudem ziehen sich viele Arbeitslose aus Scham aus dem »öffentlichen Leben« zurück. So werden wichtige Vorsorgeuntersuchungen ausgesetzt und Kontrolltermine beim Zahnarzt vermieden.
Das kann den Gesundheitszustand weiter verschlechtern. Der Rückzug aus dem sozialen Umfeld fördert Einsamkeit und soziale Isolation. Dieses Verhalten führt wiederum dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, in die Berufswelt zurückzufinden, mit der Dauer der Arbeitslosigkeit abnimmt. Langzeitarbeitslose geraten in einen »Teufelskreis«, aus dem es immer schwieriger wird herauszukommen.
Arbeitslosigkeit als Mangelerfahrung
Die Sozialpsychologin Marie Jahoda geht in ihrem Buch Wieviel Arbeit braucht der Mensch? davon aus, dass das Arbeits- bzw. Berufsumfeld (neben einem hinreichenden Einkommen) bestimmte Funktionen erfüllt, die der Mensch für ein gutes Leben braucht. Arbeitslose erleben demnach einen Mangel an spezifischen Erfahrungen, die sie anderweitig – bspw. mit ehrenamtlichem Engagement (z.B. in einem Musikverein oder einer politischen Partei) – nur unzureichend kompensieren können. Folgende Funktionen erfülle das Arbeitsleben:
Tabelle 1: Funktionen der Arbeit nach Marie Jahoda
Funktion | Beschreibung |
---|---|
Feste Zeitstruktur |
Der Alltag erhält einen festen Rhythmus, Arbeitszeiten bieten Orientierung. |
Soziale Kontakte ohne starke emotionale Besetzung |
Das Berufsleben verschafft soziale Kontakte, die weder besonders stark (z.B. Beziehung zum/r eigenen Partner/Partnerin) noch gar nicht (z.B. der Passant im Supermarkt) emotional besetzt sind |
Teilnahme an gemeinsamen Zielsetzungen und Anstrengungen |
Gemeinschaftsgefühl, gemeinsames Erreichen von Zielen, Erleben von Gruppenwirksamkeit. |
Status und Identität |
Viele Tätigkeiten (außerhalb von David Graebers »Bullshit-Jobs«) sind fundamental für das Funktionieren der Gesellschaft. Das Empfindung des Gebrauchtwerdens erhöht das Selbstwertgefühl. |
Regelmäßige Tätigkeit | Regelmäßiges Aktivwerden verbessert die physische Gesundheit und das psychische Wohlbefinden. |
Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an Jahoda (1983).
Emotionales Wohlbefinden von Arbeitslosen im Gegensatz zur kognitiven Lebenszufriedenheit gar nicht so schlecht
Auch wenn Arbeitssuchende von einer deutlich geringeren Lebenszufriedenheit berichten, ist ihre emotionale Gefühlswelt nicht zwingend schlechter als die der Erwerbstätigen. Denken Arbeitslose über ihr Leben nach, so sind sie eindeutig unzufriedener. Werden sie aber danach gefragt, wie oft sie bestimmte Empfindungen erleben (z.B. »Wie oft haben sie sich in den letzten vier Wochen glücklich gefühlt?«), sieht es gar nicht so schlecht aus.
In Zeitverwendungsstudien zeigen Andreas Knabe und Mitautoren, dass Arbeitslose zwar auf der einen Seite die gleichen Tätigkeiten weniger positiv bewerten: Mit Freunden ein Bier trinken, wandern gehen usw. sind für Erwerbstätige glücksstiftender als für Arbeitssuchende (»Traurigkeitseffekt«). Andererseits verfügen Arbeitslose über mehr Freizeit, was es ihnen ermöglicht, häufiger Zeit mit Freunden zu verbringen oder Ausflüge zu unternehmen, was als "Zeitverwendungseffekt" bezeichnet wird. Wenn dieser Zeitverwendungseffekt häufiger positive Emotionen auslöst, können Arbeitslose sich öfter glücklich fühlen, obwohl sie, wenn sie über ihr Leben als Ganzes nachdenken, weniger zufrieden sind.