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In Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg

Einkommen / Vermögen

Die Tretmühle und wie man aus ihr herauskommt

Auf einer Tretmühle kann man immer schneller laufen, aber man bewegt sich nicht vom Fleck. So geht es uns auch vielfach beim Konsum: Wir leisten uns immer größere Wohnungen, bessere Autos, ausgefallenere Urlaubsreisen, aber unser Glücksniveau bleibt weitgehend gleich. Mehr Einkommen und Konsum verwandeln sich nicht in mehr Glück. Woran liegt das?

Das Konzept der Tretmühle

Unsere Welt ist voller Werbung. Sie verheißt uns das ultimative Konsumglück, wir müssen uns dafür nur den extra großen Flatscreen-Fernseher, die coole Siebträger-Espressomaschine oder das elegante Cut-Out-Kleid kaufen. Auf Tiktok trendet gerade bei der Generation Z der Hashtag #oldmoney, wo junge Menschen den Kleidungssteil der Schönen und Reichen imitieren – weil die ja so glücklich sind. Wenn das Anspruchslevel steigt, wird auch mehr konsumiert. Insoweit geht die Rechnung der Werbung auf. Nur das Glücksniveau der Konsumenten verändert sich kaum. Die interessante Frage lautet deshalb: Warum laufen die Menschen in der Konsumtretmühle mit, obwohl es ihre Zufriedenheit nicht wirklich hebt?

Dass die Zufriedenheit der Menschen in entwickelten Ländern schon lange nicht mehr zunimmt, obwohl die durchschnittlichen Einkommen steigen, hatte der US-Ökonom Richard Easterlin schon in den 1970er Jahren erkannt. Er war zum Ergebnis gekommen, dass mehr Wohlstand die Menschen trotz Wirtschaftswachstum nur unbedeutend glücklicher gemacht hatte. Kurzfristig haben wirtschaftliche Krisen eine negative Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit und Aufschwünge eine positive. Über einen Zeitraum von 25 Jahren fallen sie aber nicht ins Gewicht. Easterlin kann man so verstehen, dass das Ziel eines stetigen Wirtschaftswachstums irrational ist, wenn es bewirken soll, dass Menschen zufriedener werden. Es scheint, als ob es einen festgelegten Bereich der Zufriedenheit gibt, der sich zwar verändern kann, aber über mehrere Jahre doch immer wieder um ein bestimmtes Level schwankt.

Auch auf der individuellen Ebene gibt es diesen Ansatz: die sogenannte Set Point Theory. Egal, was wir kaufen oder ausgeben, letzten Endes kommen wir immer wieder auf unser ursprüngliches Glücksniveau zurück. Das würde den Tretmühleneffekt und die Tatsache, dass wir ihm nicht entkommen können erklären: Der Set Point Theory zufolge hängt die Zufriedenheit hauptsächlich von der Persönlichkeit und genetischen Veranlagungen ab, also von Faktoren, die wir schwer beeinflussen können. Wir brauchen ein gewisses Maß an sozialer Bindung oder Gesundheit, wird das dauerhaft unterschritten, sind wir unglücklich, können uns aber in Grenzen daran gewöhnen. Wird es dauerhaft überschritten, dann steigt das Glücksniveau, kehrt aber nach einiger Zeit wieder auf das Normallevel zurück. Eine Steigerung des Glücks ad Infinitum ist somit nicht möglich.

Erklärungsansätze für die Tretmühle

Es gibt neben der Set-Point-Theorie noch weitere Erklärungen für die Tretmühle. Eine ist, dass Konsum süchtig macht. Ähnlich wie Cannabis, Alkohol oder Kokain, kann auch der Konsum von Gütern abhängig machen. Die Dosis muss ständig erhöht werden, um dieselbe Wirkung zu erzielen. So hat der Fast Fashion Trend dafür gesorgt, dass sich in den letzten zehn Jahren die Zahl der gekauften Kleidungsstücke verdoppelt und die Tragedauer halbiert hat. Billigklamotten fördern diesen Trend, aber auch höhere Einkommen können dieses »mehr ist besser als weniger« ermöglichen. Der Punkt, ab dem wir zufrieden sind mit dem, was wir uns leisten können, verschiebt sich immer weiter nach oben. Es ist aber fraglich, ob das Konsumverhalten grundsätzlich als Sucht beschrieben werden kann, das scheint nur auf Ausnahmen wirklich zuzutreffen.

Die „Tyrannei“ der Möglichkeiten

Der Ökonom Matthias Binswanger weist auf ein anderes Phänomen hin: In einer Multioptionsgesellschaft ertrinken wir in der Fülle von Möglichkeiten und haben nur selten die Zeit, eine vernünftige Auswahl zu treffen. Diese „Tyrannei“ erklärt schon zum Teil, warum Menschen mit steigendem Einkommen nicht glücklicher werden. Zudem scheitern viele bei der Umsetzung des Einkommens in Zufriedenheit. Sie kaufen die falschen Produkte oder wählen die falschen Dienstleistungen. So wird sehr viel Geld in den Kauf einer Eigentumswohnung investiert, obwohl Eigentümer gegenüber Mietern kaum zufriedener sind. Wir nehmen lange Pendelstrecken in Kauf, weil der neue Job 200 Euro mehr Lohn bringt und übersehen, dass Pendeln unzufrieden macht. Die Glücksbilanz ist dann nicht selten negativ. Menschen überschätzen systematisch den Effekt einer Einkommenssteigerung oder eines höheren Lebensstandards. Sie denken oft, mit der nächsten Verbesserung würden sie endgültig glücklich und hätten alles, was ihr Herz begehrt. In Wirklichkeit passen wir uns an das neue Normal recht schnell an.

Abbildung 1: Wir brauchen ständig Gehaltserhöhungen

Mit steigendem Einkommen nimmt auch die Lebenszufriedenheit langfristig etwas zu – das meiste Glück nach der Gehaltserhöhung geht aber wieder verloren.


Allgemeine Lebenszufriedenheit (0 = ganz und gar nicht zufrieden bis 10 = völlig zufrieden)

Anmerkung: Schematische Darstellung.

Ein wichtiger Faktor für die Tretmühle ist der Statuswettbewerb. Der ständige Blick auf die anderen führt dazu, dass laufend Vergleiche gezogen werden. Und die wirken sich selten positiv auf die Lebenszufriedenheit aus. Zum elementaren menschlichen Sozialverhalten gehört es, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Menschen vergleichen sich mit anderen und verteidigen ihren Status, viele wollen ihn verbessern. »Keeping up with the Joneses« nannte der amerikanische Ökonom James Duesenberry das Phänomen, dass das Konsumverhalten davon abhängt, wo jemand in der Einkommenspyramide steht. Man will mit den Nachbarn oder Arbeitskollegen mithalten. In einer Wachstumsökonomie verlieren die Statussymbole rasch an Wert: Das neue Automodell muss her, die neueste Smartphone-Generation wird gekauft, sonst droht der Verlust der relativen Position. Selbst um die Position zu halten, muss wie auf einer Rolltreppe unentwegt hochgestiegen werden. Der Statuswettbewerb dreht sich immer schneller, weil er auf immer mehr Produkte und Konsumpraktiken ausgedehnt wird. Damit gleicht er einer Tretmühle: Die Menschen mühen sich ab mitzuhalten, um ihre Statusposition zu verteidigen. Die allgemeine Lebenszufriedenheit kann aber dadurch nicht verbessert werden, denn der Statuswettbewerb ist ein Nullsummenspiel: Man kann nur aufsteigen, wenn ein anderer absteigt.

Hinzu kommt: Einkommen und Lebenszufriedenheit gehen »nur« im unteren Bereich spürbar positiv miteinander einher. Abbildung 2 zeigt, dass der Glückszuwachs durch ein höheres Einkommen im unteren Bereich noch relativ hoch ist: Nimmt etwa das Haushaltsnettoeinkommen (nach Steuern und Sozialabgaben) von monatlich 1.600 auf 1.900 Euro (+300 Euro) zu, so steigt auch die Lebenszufriedenheit um 0,14 Punkte. Bei einem Einkommen von 3.200 Euro bringen 300 Euro mehr nur noch 0,05 Punkte. Ab 4.000 Euro sind 300 Euro kaum der Rede wert.

Abbildung 2: Je höher das Einkommen, desto zufriedener – aber mit stark abnehmender Rate

Je höher das Einkommen, desto höher die Lebenszufriedenheit. Dieser Zusammenhang ist aber nur im unteren Einkommensbereich wirklich spürbar. Haushalte mit monatlich 10.000 Euro und mehr erleben durch zusätzlich 100 Euro kaum Glückszuwächse.


Allgemeine Lebenszufriedenheit (0 = ganz und gar nicht zufrieden bis 10 = völlig zufrieden).

Anmerkung: Die Ringe zeigen die Größe des Anteils der Bevölkerung, die in jenem Einkommensbereich liegt, an. So haben 12,9 Prozent der Haushalte ein Nettoeinkommen von 2.700 Euro, aber nur 8,7 Prozent liegen bei 5.500 Euro und gerade mal 1,2 Prozent bei 10.000 Euro und mehr.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Glücksatlas-Datenbank 2022.

Sind Menschen also dazu verdammt, immer weiteren Zielen nachzujagen, ohne glücklich zu werden? Das wäre eine pessimistische Lesart der Tretmühle, aber nicht die einzig mögliche. Die Lebenszufriedenheit hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Da sind zwar die Arbeit und das Einkommen, aber auch Gesundheit, Alter, Familie, Sicherheit und Freizeit. Ein erster Schritt ist es also, sich dessen klarzuwerden: Das persönliche Glück steigt und sinkt nicht nur mit dem Kontostand. Daraus kann eine grundsätzliche Reflektion über das Konsumverhalten folgen. Die Vergleiche mit anderen, oder auch mit dem früheren Ich, erfolgen meist unbewusst. Sich dieses ständige, ungesunde Vergleichen klarzumachen, kann die Basis für einen Ausweg aus der Tretmühle sein. Darauf aufbauend kann es sinnvoll sein, immer wieder einen Blick zurückzuwerfen und nicht nur die Verbesserungsmöglichkeiten sehen, sondern auch das, was bereits erreicht wurde. Ab einem bestimmten Lebensstandard machen Steigerungen dort vermutlich kaum einen Unterschied mehr.

Ob ein neues Auto wirklich für mehr Lebenszufriedenheit führen wird, kann kritisch reflektiert werden. Viele dieser Anschaffungen sind Statussymbole, die mehr mit dem Blick der anderen zu tun haben als mit den eigenen Bedürfnissen. Klar, auch ein angemessener gesellschaftlicher Status ist ein legitimes Bedürfnis. Aber lohnt sich der Aufwand, nicht nur in Arbeitszeit, sondern auch in der persönlichen Glücksbilanz? Mathias Binswanger empfiehlt, den »richtigen Teich« zu wählen: Sich mit den großen Fischen – oder denen, die besonders groß scheinen wollen – zu messen, führt zu ständigem Druck. Wäre es nicht klüger, nicht ständig nach dem Besten streben zu wollen, sondern sich so zu akzeptieren, wie man ist. Immer die beste Version von sich selbst zu suchen, macht nicht glücklich, anders als uns viele Filme und Ratgeber weismachen wollen.

Höhere Zinsen und hohe Preise: Die Finanzierung einer Immobilie wird derzeit immer teurer. Viele träumen vom Häuschen im Grünen und verschulden sich. Doch wie sieht die Glücksbilanz von Mietern und Eigentümern eigentlich aus? So viel sei verraten: Beim Kauf erleben die neuen Eigentümer ein Stimmungshoch – später folgt oft die Ernüchterung.

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